P. Vonnard: L’Europe dans le monde du football

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Titel
L’Europe dans le monde du football. Genèse et formation de l’UEFA (1930–1960)


Autor(en)
Vonnard, Philippe
Erschienen
Bern 2018: Peter Lang/Bern
Anzahl Seiten
408 S.
von
Christian Koller, Schweizerisches Sozialarchiv, Schweizerisches Sozialarchiv

Als im März 1957 die Vertreter von sechs dem Westen zugehörigen Ländern die
Römischen Verträge unterzeichneten, die als Meilenstein des europäischen Integrationsprozesses in die Geschichte eingegangen sind, existierte bereits seit drei Jahren eine andere europäische Organisation, die 30 Mitgliedsländer von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs umfasste: Der europäische Fussballverband UEFA. Der Vorgeschichte, Entstehung und frühen Konsolidierung dieser Organisation widmet sich Philippe Vonnards Buch, das auf einer 2016 verteidigten Lausanner sportwissenschaftlichen Dissertation beruht. Vonnard interessiert sich dabei insbesondere für drei Punkte: Die Rolle internationaler Organisationen bei der Entwicklung des grenzüberschreitenden Fussballspielbetriebs, das Verhältnis der Führungselite des internationalen Fussballs zur Politik und die Gründe der Schaffung der UEFA zur Mitte der 1950er Jahre. Dabei wird neben den Akten des internationalen Fussballverbandes FIFA erstmals auch das in der Geschäftsstelle in Nyon (VD) gelagerte Archiv der UEFA ausgewertet.

Der erste Hauptteil des Buches analysiert die Entwicklung der FIFA in den 1930er und 1940er Jahren. Der internationale Fussballverband festigte in den 1930er Jahren seine administrativen und finanziellen Strukturen und versuchte sich aus internen Konflikten der nationalen Fussballverbände herauszuhalten. Auch politische Einflüsse sollten nach dem Willen der FIFA-Führungselite möglichst vom Verband ferngehalten werden, was allerdings nicht immer gelang. Mit dieser Linie gelang es dem Verband, den Zweiten Weltkrieg zu überleben. Die FIFA, die 1904 von einer Handvoll ausschliesslich kontinentaleuropäischer Verbände aus der Taufe gehoben worden war, blieb auch zu jener Zeit immer noch stark europäisch dominiert. Der «andere Kontinent» Amerika hatte aber immerhin 1930 die erste Weltmeisterschaft der FIFA in Uruguay organisiert. Ausserdem war in Südamerika bereits 1916 angesichts der Kriegswirren in Europa der Kontinentalverband CONMEBOL entstanden, der nach dem Zweiten Weltkrieg dann zum Vorbild für weitere Kontinentalverbände werden sollte. Ab 1938 wurde den Südamerikanern ein fixer Platz im FIFA-Exekutivkomitee zugestanden – ein Präzedenzfall für die spätere strukturelle Umgestaltung der FIFA auf der Basis von Kontinentalverbänden. Der Schwerpunkt der FIFA lag aber weiterhin klar auf Europa und mit den beiden in Europa ausgetragenen Weltmeisterschaften 1934 (in Italien) und 1938 (in Frankreich) sowie den beiden «FIFA-Spielen» 1937 (Westeuropa gegen Osteuropa) und 1938 (Kontinentaleuropa gegen England) veranstaltete der Verband auch grosse Anlässe, die zur weiteren Entwicklung des Spielbetriebs in Europa beitrugen. Allerdings kontrollierte die FIFA in den 1930er Jahren nur einen Teil des europäischen Fussballs: Sowohl die vier britischen Verbände als auch die Sowjetunion blieben dem internationalen Verband bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fern. Ausserdem existierte – von Vonnard nicht erwähnt – in der Zwischenkriegszeit im Rahmen des sozialistischen Arbeiterfussballs ein internationaler Spielbetrieb ausserhalb der FIFA, der in den frühen 1930er Jahren auch eine Europameisterschaft einschloss. Zudem kamen wichtige Impulse für eine stärkere europäische Integration des Fussballs nicht direkt von der FIFA – etwa die «Coupe des Nations» von 1930 in Genf, die in Europa weit stärker beachtet wurde als die zeitgleiche Weltmeisterschaft in Montevideo, oder die sog. «Mitropa»-Wettbewerbe für Vereins- und Nationalmannschaften. Nach 1945 änderte sich die Struktur der FIFA stark. Die einsetzende Dekolonisation vermehrte die Zahl der aussereuropäischen Mitglieder. Die Rückkehr der britischen Ver bände in die FIFA warf die Frage nach einer neuen Zusammensetzung der wesentlichen Gremien auf und der Beitritt der Sowjetunion 1947 schuf in der FIFA eine starke Ostblockfraktion. Vor diesem Hintergrund setzten Debatten um eine Reorganisation des internationalen Fussballverbandes im Sinne einer «Kontinentalisierung» ein. Die Mitgliedsländer sollten sich in Kontinentalverbänden organisieren, die in den FIFA-Gremien nach festen Schlüsseln Sitze erhalten sollten.

Diese Debatten und die daraus entstehenden neuen Strukturen bilden den Gegenstand des zweiten Hauptteils von Vonnards Buch, der die Jahre 1949 bis 1960 abdeckt. Die langwierigen, von Vonnard detailliert nachgezeichneten Diskussionen über eine Strukturreform der FIFA zur Anpassung an die Nachkriegssituation mündeten 1953/54 in eine Reorganisation auf Basis kontinentaler Gruppierungen. Zum Durchbruch kam diese Idee aufgrund einer Allianz der Südamerikaner mit ihrem jahrzehntealten Kontinentalverband und der Westeuropäer, die dadurch die Institutionalisierung eines Sowjetblockes innerhalb der FIFA verhindern wollten, der zusammen mit den frisch dekolonisierten Staaten die alten Fussballnationen zu majorisieren drohte. Eine Konsequenz dieser Reform war 1954 die Bildung einer europäischen Gruppe innerhalb der FIFA und noch im selben Jahr die Gründung der UEFA als europäischer Kontinentalverband. Wie Vonnard wiederholt hervorhebt, war die UEFA mit ihrer den Eisernen Vorhang überschreitenden Mitgliedschaft in der europäischen Integrationslandschaft der 1950er Jahre ein absoluter Sonderfall. Allerdings stellte sich rasch die Frage der geographischen Grenzen des fussballerischen Europas, die mit den Beitrittsgesuchen der Türkei und Israels aktuell wurde. Beide Gesuche wurden 1956 nach Konsultationen mit der FIFA mit geographischen Argumenten abgewiesen. Während Israel bis Anfang 1990er Jahre vom europäischen Spielbetrieb ausgeschlossen blieb, konnte die Türkei trotzdem an europäischen Wettbewerben teilnehmen und wurde dann 1962 doch noch Vollmitglied der UEFA, nachdem der türkische Fussballverband seinen Sitz von Ankara nach Istanbul verlegt hatte. Für die rasche Abnabelung der UEFA von der FIFA war in den Gründungsjahren die Initiierung europäischer Wettbewerbe zentral: Der 1955 auf Vorschlag von Sportjournalisten ins Leben gerufene Europacup der Meisterklubs, der ab 1958 erstmals ausgespielte Europapokal der Nationen als Vorläufer der Fussball-Europameisterschaft sowie der 1960 gestartete Europacup der Cupsieger führten zu einer Verstetigung des internationalen europäischen Spielbetriebs und ermöglichten der UEFA eine eigenständige Medialisierung ihrer Aktivitäten, insbesondere im rasch an Bedeutung gewinnenden Fernsehen. Dadurch konnte die UEFA, deren Grundidee sich am CONMEBOL orientiert hatte, ihrerseits für Südamerika Vorbild werden: Mit der 1960 erstmals ausgerichteten «Copa Libertadores» folgte der südamerikanische Verband den Integrationsstrategien seines europäischen Pendants.

Insgesamt führt Vonnard anschaulich und detailreich durch die organisatorischen Debatten in der FIFA und der UEFA des behandelten Zeitraums und setzt die strukturelle Entwicklung immer zu sportlichen und aussersportlichen Faktoren in Bezug. Dadurch entsteht ein interessantes Gesamtbild, das Sport- und Integrationsgeschichte zusammendenkt und zugleich aufzeigt, warum die scheinbare strukturelle «Provinzialisierung Europas » im internationalen Fussball in Wirklichkeit die europäische Vorherrschaft für weitere Jahrzehnte verstetigte.

Zitierweise:
Koller, Christian: Rezension zu: Vonnard, Philippe: L’Europe dans le monde du football. Genèse et formation de l’UEFA (1930–1960), Brüssel / Bern / Berlin / New York / Oxford / Wien 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (2), 2021, S. 388-389. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00088>.

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